In der Käserei sind wir alle gleich
Unsere Beiträge zu Migranten aus Syrien, die in Deutschland neu Fuß fassen, indem sie Käsereien gründen, haben 2021 besonders viel Interesse geweckt. Wir stellen nochmal zwei Betriebe vor.
Als Familie Sadka aus Syrien nach Wenzenbach kam, hatte sie nur das Nötigste dabei – etwas Kleidung, ein wenig Erspartes und: kristallines Lab. Damit haben sie in ihrer Küche Käse für den Eigenbedarf hergestellt. Ihr Ziel: Aus eigener Kraft ein neues Leben aufzubauen. Mit Martin Sauerer hatten sie nicht gerechnet.
Die ersten Versuche der Familie, Käse in Deutschland herzustellen waren kläglich gescheitert, weil es mit der pasteurisierten Milch aus dem Supermarkt einfach nicht klappen wollte. So sind sie an Martin Sauerer geraten, der eine Landwirtschaft mit 20 Milchkühen in Bernhardswald bewirtschaftet. Von ihm bezogen sie fortan die Milch und es dauerte nicht lang, da wurde er in die Familie eingeladen, um zuzusehen, wie sie ihren Käse mit einfachsten Mitteln produzieren.
An dieser Stelle trafen zwei Umstände zusammen, die jeder für sich betrachtet eher nicht in Richtung Erfolg deuteten: Familie Sadka ging das kristalline Lab aus und Martin Sauerer betrieb eine auslaufende Landwirtschaft und wusste nicht so recht, wie es mit dem Betrieb weitergehen sollte. Aber die Tatsache, dass jemand in ein fremdes Land auswandert und als eines der wenigen Dinge ausgerechnet kristallines Lab mitnimmt, hat ihn sehr berührt. „Da musste ich mein eigenes Wertesystem überdenken“ sagt er. Martin Sauerer hat sich daher intensiv damit beschäftigt, welche Rolle Käse in der syrischen Ernährung spielt, welche Varianten es gibt und wie er hergestellt wird. Die Idee, ein traditionelles, syrisches Grundprodukt herzustellen, das man zu acht weiteren Käsesorten weiterverarbeiten kann, hat ihn fasziniert.
Damit war der Grundstein gelegt, den Hof für die Käseproduktion umzugestalten. Die handwerkliche Seite der Milchverarbeitung hatte Martin Sauerer immer schon fasziniert. Mittlerweile hat er den Stall umgebaut und mit der Hilfe von Imad Sadka angefangen, auf dem Hof syrischen Käse zu produzieren.
Zu Beginn haben sie mit kristallinem Lab und Rohmilch gearbeitet, wie es die syrische Tradition vorgibt. Das klappte anfangs auch gut, allerdings stellten sich dann immer mehr Schwierigkeiten ein. Teils waren sie darauf zurückzuführen, dass in Bayern nicht die selben Temperaturen herrschen, wie in Syrien, andererseits war das kristalline Lab, das sie aus Rumänien bezogen hatten, nicht mehr zu bekommen. Sie haben daher auf flüssiges Lab und pasteurisierte Milch umgestellt. Dies erwies sich anfangs auch nicht als einfacher, weil sie zu viele Parameter gleichzeitig verändert hatten. Mittlerweile haben sie mit Hilfe von Kursen beim VHM, einer Kulturenberatung durch IP Ingredients und viel Übung wieder an Sicherheit gewonnen. Ein bisschen liebäugeln sie immer noch damit, wieder auf kristallines Lab umzustellen, aber das bleibt vorerst Zukunftsmusik.
„Zu Anfang so eines Projekts gehen die Ideen in alle Richtungen“, berichtet Martin Sauerer, „aber dann holt einen doch der Alltag ein“. Imad Sadak hat aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus eine Ausbildung begonnen und somit hat er nur wenig Zeit für die Käserei. Dazu kamen die Veränderungen, die Corona mit sich bringt.
Früher haben sie hauptsächlich Gastronomie beliefert – mittlerweile produzieren sie in erster Linie für die private Kundschaft, die auf den Hof kommt in den „Fabrikverkauf“ wie Martin Sauerer es mit einem Augenzwinkern selbst bezeichnet. Die Kunden kommen zu ihm, ohne dass er gezielt Werbung macht. Er bietet hauptsächlich Labneh an, das dem nordischen Skyr sehr ähnlich ist. Und gerade diese Ähnlichkeit hat es Martin Sauerer so angetan: „Es ist egal, wo man herkommt. Letzten Endes stehen wir alle in der Käserei und haben mit dem selben Problem zu kämpfen: wir haben ein verderbliches Produkt und das soll bitte sehr haltbar werden. Das verbindet die Menschen überall auf der Welt.“
Kontakt
Martin Sauerer
Reiting 38
93170 Bernhardswald
Tel.: 09408 - 361
almdudler3000@web.de
Hofbesuche sind willkommen - wenn Sie etwas Bestimmtes benötigen, rufen Sie bitte vorsichtshalber vorher an!
Arabischer Käse aus Kassel
Wie viel Käse kaufen Sie bei einem normalen Wocheneinkauf? 200 Gramm?
500 Gramm? Mehr?
Dieses Einkaufverhalten ihrer deutschen Kunden war für
Hassan Baroudi von der arabischen
Käserei in Kassel ein Kulturschock.
Bei der syrischen Kundschaft geht unter einem Kilogramm gar nichts.
Hassans Frau Bouchra Alsamoudi
erzählt, dass eine sechsköpfige syrische Familie pro Woche 5 – 10 Kilo
Käse isst. Die in Salzlake eingelegten Spezialitäten sind elementarer
Bestandteil aller Mahlzeiten, aber ganz besonders zum Frühstück oder als
Pausenbrot für die Kinder in der Schule darf Käse nicht fehlen.
Ein gutes Frühstück legt regelmäßig das Fundament für einen guten Tag –
im Ramadan gewinnt dieser Aspekt noch mehr an Bedeutung. Käse als Teil
der Mahlzeit vor der Morgendämmerung hilft, die lagen Tage im
Fastenmonat auszuhalten. Diejenigen, die es süß mögen, kombinieren ihn
mit Wassermelone, Aprikosen oder Marmelade, wer es eher herzhaft mag,
nimmt Tomaten oder Gurken.
Für ihren Mann Hassan Baroudi war Käse nicht einfach nur ein gewohnter Teil seiner täglichen Ernährung. Für den studierten Agraringenieur war Käse eine Passion. Daran hat sich auch nichts geändert, als er 2014 nach Deutschland kam. Sein Traum war, einen beruflichen Neustart zu wagen mit seiner eigenen kleinen Käserei. Doch erst Mal stand Deutschlernen auf dem Programm. Gar nicht so einfach. Aber nach zwei Jahren klappte das ganz gut und so fing er an, mit seiner Ehefrau zusammen eine Existenz aufzubauen und eine arabische Käserei zu planen. Das war erst recht nicht einfach. Die Agentur für Arbeit hat sie mit der Erstellung eines Businessplans unterstützt, ansonsten waren sie auf sich allein gestellt. Durch alle Anträge, Formalitäten und die Finanzierung haben sie sich allein durchgekämpft, bis sie endlich im Herbst 2020 ihren Traum verwirklichen konnten und eine kleine Käserei mit Ladenverkauf in Kassel eröffnet haben.
Dort verarbeiten sie ca. zwei bis drei Tausend Liter Kuhmilch pro Woche zu arabischen Traditionskäsen. Sieben Sorten bieten sie an, so zum Beispiel Musannara, einem Kochkäse aus pasteurisierter Milch, oder Akkaui, der in Salzlake gereift wird. Diese beiden Käse werden aus pasteurisierter Milch hergestellt. Sie verarbeiten aber auch Rohmilch zu Mshallaleh. Diese Sorte wird erst später gekocht und ähnelt dem Mozzarella, ist aber salziger. Daneben darf der
Labneh nicht fehlen. Der Frischkäse wird aus Joghurt produziert. Mit Gewürzen verfeinert wird er zu Sorke. Die unterschiedlichen Sorten werden mit Korinader, Schwarzkümmel oder Fenchel gewürzt. Aufgerollter Sorke mit Würzmantel wiederum wird als Shenkliesh bezeichnet. Der Käse wird in dem Ladengeschäft offen verkauft – Großkunden erhalten die Spezialitäten selbstverständlich vakuumiert.
Je nach Arbeitsanfall steht Hassan Baroudi bis zu 12 Stunden am Tag in der Käserei. Der Gewinn sei nicht groß „aber wir können das aushalten“ sagt Frau Alsamoudi. Und das glaubt man ihr sofort. Mit einem gehaltvollen Käse-Frühstück gestärkt, werden sie sich auch morgen daran machen, die deutsche und arabische Kundschaft zu bedienen. Auch wenn der Weg nicht einfach ist, den sie gewählt haben: Käse gehört zu ihrer Kultur und ist Teil ihrer Identität. Und wenn die Kunden sagen „Hier bekommt man den besten arabischen Käse in Deutschland“, dann hat sich die Mühe gelohnt.
Kontakt
Baroudi Käserei
Hassan Baroudi
Altenbaunaer Str. 72a
34132 Kassel
Telefon: 0177 3293454